No man is an island, entire of itself; every man is a piece of the Continent, a part of the Main; if a clod be washed away by the Sea, Europe is the less, as well a Promontory were, as well as if a Manor of thy friends or of thine owne were; any mans death diminishes me, because I am involved in Mankind; And therefore never send to know for whom the bell tolls; It tolls for thee.
Kein Mensch ist eine Insel, ein Ganzes in sich selbst; jeder Mensch ist ein Stück des Kontinents, ein Teil der weiten Erde; wenn ein Erdklumpen weggespült wird vom Meer, ist Europa geringer geworden, genau wie wenn es ein ganzer Vbrsprung, das Haus deiner Freunde oder dein eigenes wäre; der Tod eines jeden Menschen vermindert mich, denn ich bin verflochten mit der Menschheit; und darum schick beim Totengeläut keinen aus, zu fragen, wem die Stunde schlägt; denn sie schlägt dir.
Noch im vulgarisierten Zitat ist die Perspektive klar. Keinerlei Orakel, keinerlei hilflose Versuche ausgetüftelter Zukunftsdeutung können es verdecken: Am Schluss steht der Tod, dein eigener Tod. Staub, Tod, Stille — darauf geht die Aussicht in diesem Gedicht. Ein Unikum im Wferk Brodskys: Es tragt ein Epigraph von einem deutschen Dichter, Peter Huchel (1903–1981), aus dem Gedicht «Die Engel» (im Band «Gezählte Zeit», 1972)[243].
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Die Praxis der Zukunftsdeutung ist so universal wie die allgemein-menschliche Angst vor dem Tod, vor dem Sterbenmüssen. In Brodskys langem Gedicht «Gesprach mit dem Himmelsbewohner» («Разговор с небожителем») von 1970, wo der Sprechende sich nicht scheut, sich zum modemen Hiob zu stilisieren, heißt es in der 19. Strophe klar:
Ну что же, рой!
Рой глубже и, как вырванное с мясом,
шей сердцу страх пред грустною порой,
пред смертным часом.
Na also, grab
schon! grab tiefer! Nur samt dem Fleisch herausgerissen
näh ins Herz die Angst als deine Naht,
die Angst vorm Sterbenmüssen.[244]
Und gleich in der folgenden Strophe, ganz ähnlich wie in dem zwei Jahrzehnte später entstandenen Gedicht «Anmerkungen eines Farns»: «Die Perspektive des Sterbens / steht immer offen dem Auge» («раз перспектива умереть / доступна глазу»).
Das Besondere des Brodsky-Gedichtes «Anmerkungen eines Farns» liegt aber darin, dass es nicht nur die Verfahren der Zukunftsdeutung parodiert, sondern auch Strategien entwickelt und Empfehlungen gibt, wie dieser vemichtenden Aussicht begegnet werden könnte. Der postmoderne Prophet sagt nicht nur die Zukunft voraus und formuliert die Perspektive des Todcs, sondern gibt Anleitungen, Ermahnungen. Sie sind das Wesentliche in diesem Gedicht. Und nicht die Zukunft. Denn der Zukunft gegenüber war Brodsky zutiefst misstrauisch gestimmt. Das Gedicht «Vertumnus» («Вертумн») von Dezember 1990 spricht eine deutliche Sprache:
Пахнет оледененьем. (…)
В просторечии — будущим. Ибо оледененье
есть категория будущего, которое есть пора,
когда больше уже никого не любишь,
даже себя. (…)
В определенном смысле,
в будущем нет никого; в определенном смысле,
в будущем нам никто не дорог. (…)
Будущее всегда
настает, когда кто-нибудь умирает.
Особенно человек. Тем более — если бог.
Es riecht nach Eiszeit. (…)
Einfach ausgedruckt — nach Zukunft. Denn Vereisung
ist eine Kategorie der Zukunft, einer Zeit,
wo du niemanden mehr lieben wirst,
auch dich selber nicht. (…)
In einem gewissen Sinne
gibt es in der Zukunft niemanden; sozusagen
ist uns in der Zukunft niemand lieb und teuer. (…)
Die Zukunft bricht
immer an, wenn jemand stirbt.
Besonders ein Mensch. Erst recht — ein Gott.[245]
Überhaupt die Zukunft — der illusionslos-antiutopisch eingestellte Brodsky hielt nichts von ihr, stand ihr ablehnend gegenüber. Sie ist bei ihm ein Zeitraum der Kälte, der Vereisung, der Abwesenheit der Liebe. Schlechthin eine Ära des Todes.
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Der Anfang der 4. Strophe formuliert einen Imperativ: «Deshalb besser: keine Angst!» («Поэтому лучше бесстрашие!»). Am Schluss der 7. Strophe wird das Schreiben als Mittel der Befreiung von der Angst beschworen; «Das Kratzen der Feder in der Stille hältst / du für den Versuch in Kleinschrift die Angst zu verlernen» («что скрип пера / в тишине по бумаге / — бесстрашье в миниатюре»). Furchtlosigkeit «in Miniatur», ob als «Kleinschrift» oder «im Kleinen» — es ist eine bescheidene Strategic der Angstbewältigung, die der Dichter hier empfiehlt.
Und noch eine für Brodsky typische Ermahnung versteckt sich ganz am Schluss des Gedichtes: Vermeide die Tautologie. «Und Furcht vor Tautologie ist Garantie für Wohlergehen» («И страх тавтологии — гарантия благополучья»), Brodsky war ein Dichter, der sich als eingefleischter Exilant jede Hoffnung auf Intaktheit und Heimkehr und Heil verbat. Simple Wiederkehr an den Ort des früheren Geschehens wäre Tautologie, eine Figur, die Brodsky immer wieder geißelte: als bloße Wiederholung im Klischee, öde Vermassung, sinnlose Vermehrung des ohnehin Vorhandenen.
Tautologie war für Brodsky eine Todsünde des Künstlers. Auch im Bereich des eigenen Lebens. Er weigerte sich selbst nach der Wende, als das Sowjetimperium untergegangen war, nach Russland zurückzukehren. Als Lebender nicht und erst recht nicht als Toter, um der Vereinnahmung durch ein quasi-staatliches Grab und dem russischen Stereotyp des zu Lebzeiten geschundenen, nach dem Tod verklärten Dichters zu entgehen. Also wollte er in seinem «irdischen Paradies» Venedig begraben sein, auf der Friedhofinsel San Michele; in jenem Venedig, das der Exilant «siebzehn Winter lang» aufsuchte, ohne dabei je an Wiederholung oder Tautologie zu denken. Denn in der Kunst war Tautologie und Klischee für ihn unmöglich, und Venedig für ihn — der Ort der Kunst schlechthin, nachzulesen in seinem grandiosen Venedig-Essay «Ufer der Verlorenen» (im englischen Original: «Watermark»).
Und ein anderer Imperativ leitet sich aus der Angst vor dem Sterbenmüssen ab, jener Imperativ des Staubes: «Vergiss mich nicht» («не забывай меня»), in der 6. Strophe. Es ist der Imperativ, den Huchels Gedicht «Die Engel» vorgegeben hatte mit dem biblisch hohen Register in «Gedenke meiner» und den Brodsky, der Pathosbrecher, herabdämpft zu einem schlichten: «Vergiss mich nicht!» Die Bewahrung des Gedächtnisses ist auch ein Motor des Schreibens und Schreibenmüssens — angesichts des Sterbenmüssens.
Brodsky ist der Stoiker der Postmoderne. Im Jahr 1994, ein gutes Jahr vor seinem Tod, widmete er einen seiner letzten Essays Marc Aurel (121–180), dem römischen Kaiser und Autor der Selbstbetrachtungen. «Hommage an Marc Aurel» ist eine so einfühlsame wie energische Würdigung der stoischen Philosophic von Zenon bis Epiktet und Marc Aurel, deren gemeinsames Projekt die Überwindung der Angst vor dem Tod war. «Bedenke, dass der Hauptquell alien Übels für den Menschen wie auch von Niedertracht und Feigheit nicht der Tod, sondern die Furcht vor dem Tod ist» (Epiktet). Das Ziel der Stoiker war die Gemütsruhe (griechisch: Ataraxia, lateinisch: Aequanimitas), Gleichmut und Gelassenheit angesichts des Schrecklichen. Brodskys Essay ist eine Vemeigung vor den stoischen Philosophen und mutet fast wie ein Bewerbungsschreiben an, selber in ihre Reihe aufgenommen zu werden. Selbst der Selbstmord, den die Stoiker als Mittel der Freiheit in auswegloser Lage bejahten, findet sich in Brodskys Farn-Philosophic wieder, im «Signal dass es Zeit wird für einen selbst, / die Lampe zu löschen» («указанье, что самому пора / выключить лампу»).
Die allgegenwärtige Perspektive des Sterbens im Werk des von seiner Herzkrankheit dauemd bedrohten, am 28. Januar 1996 dem Herztod erlegenen Joseph Brodsky schließt die Gegenmittel und Strategien der Überwindung nicht aus, den Imperativ des Schreibens und Gedenkens. Kein anderes Gedicht resümiert derart prägnant Brodskys Lebensmaximen wie «Anmerkungen eines Farns». Prinzipien, die er hier, nach der parodistischen Reihung diverser Verfahren der Zukunftsdeutung, in eine Anzahl Ermahnungen kleidet: Vermeidung der Tautologie, Furchtlosigkeit angesichts des Todes, Bewahrung des Gedächtnisses in der Schrift, Gleichmut und Gelassenheit, Angstbewältigung dank der beharrlichen Schreibkunst, dank dem bescheidenen Geräusch des Schreibgeräts in der Stille. Es ist ein nicht etwa heilendes (eine solche Idee wäre Brodsky suspekt), aber zugleich erhebendes und ernüchterndes Geräusch. Es ist die klangliche Entsprechung einer Lebens— und Sterbenslehre «im Kleinen», in der Miniatur. Es ist die bescheidene Musik des Farns.
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Ralph DutliZur Rezeption Fremder Kulturen in der russischen Moderne am Beispiel Armeniens
BRJUSOV, BELYI, MANDEL’ŠTAM
Konstantin M. Azadovskij gehört zu den Pionieren der Wiederentdeckung und Erschließung der Literatur des «Silbernen Zeitalters». Ihm gebührt das Verdienst, die russische Moderne nicht nur als nationales Kulturgut, sondern als Bestandteil der europäischen Moderne in ihren intemationalen Beziehungen und Verflechtungen in den Blick genommen zu haben[246]. Zu diesem gesamteuropaischen Horizont gehört auch die Tatsache, dass bei aller Unterschiedlichkeit der poetischen Konzepte sowohl die Symbolisten als auch die Akmeisten ein kulturelles Programm vertraten, das die eigene Position nicht durch Ausgrenzung des Fremden bestimmte, sondern die, im Gegenteil, in bewusster Aneignung fremder Kulturen und in der Auseinandersetzung mit ihnen, ihren eigenen Platz in der Weltkultur suchten. Die Symbolisten proklamierten die Kulturals den Weg zur allumfassenden «Synthese» (Belyj, Ivanov), die Akmeisten verteidigten Kultur als einen universellen Wert (Achmatova) und sprachen in Zeiten der Barbarei von der «Sehnsucht nach Weltkultur» (Mandel’štam).
In der russischen Literatur spielte traditionell auch die Beschäftigung mit dem eigenen Fremden, dem Kaukasus, der Krim und Sibirien eine wichtige Rolle. Die eroberten Gebiete wurden zu Objekten ästhetischer Aneignung, ohne dass die Kolonialismuspolitik des Zarenreiches prin-zipiell in Frage gestellt worden wäre (zu den Ausnahmen gehört der spate Lev Tolstoj). Die gelegentlichen Hinweise bei Puškin oder Marlinskij, dass Georgien und Armenien uralte christliche Zivilisationen seien, ändern nichts am kolonialistischen Gesamttenor der Behandlung des russischen Ostens in der klassischen russischen Literatur[247]. Zu untersuchen wäre nun, inwieweit die Autoren der Moderne neue Facetten in die literarische Eroberung des russischen Orients einbringen. Zu fragen wäre auch, was mit ihren Syntheseansätzen in der sowjetischen Ära geschieht, die ja eine neue Phase der Kolonialisierung einleitet. Hier erõffnet sich ein weites Forschungsfeld, zu dem an dieser Stelle nur kurze Überlegungen angestellt werden können.
Am Beispiel der Armenien-Texte von Brjusov, Belyj und Mandel’štam soil gezeigt werden, dass diese Autoren ihr im «Silbemen Zeitalter» ausgebildetes Kulturverständnis in die sowjetische Ära hinüber zu retten versuchen, was den Dissens mit der offiziellen Kulturpolitik vorprogrammiert.
Valerij Brjusovs Anthologie: «Poëzija Armenii. Narodnaja — srednevekovaja — novaja v perevode russkich poétov»
Brjusovs Anthologie entstand auf Bitten des in Moskau ansässigen Armenischen Komitees nach dem Genozid der Armenier durch das Osmanische Reich im Jahr 1915.
Brjusov selbst übemahm den Löwenanteil der Übersetzungen, konnte aber auch andere symbolistische Dichterkollegen, z. B. A. Blok, V. Ivanov, F. Sologub, K. Bal’mont, zur Mitarbeit gewinnen. Er besuchte Armenien 1916 und wurde von den dortigen Dichtem und Künstlern begeistert empfangen. Bis zu seinem Tode ließ ihn die Beschäftigung mit Armenien nicht mehr los. Mehrere Gedichte sind Armenien gewidmet, eine historische Chronik «Letopis’ istoričeskich sudeb armjanskogo naroda» blieb unvollendet[248].
Brjusov betont im Vorwort der Anthologie die lange Verbundenheit des Schicksals Armeniens mit dem Russlands, hebt aber zugleich dessen kulturelle Eigenleistung hervor, die er besonders in der Literatur verkörpert sieht, «та исключительно богатая литература, которая составляет драгоценный вклад Армении в общую сокровищницу человечества»[249].
In dem einleitenden umfangreichen Aufsatz mit dem Titel «Poëzija Armenii i ee edinstvo na protjaženie vekov (Istoriko-literaturnyj očerk)» entfaltet er ein kompaktes Bild der Geschichte der armenischen Literatur in ihren soziokulturellen Kontexten. Beschrieben werden die vielfältigen und wechselvollen kulturellen Einflüsse, die die armenische Kultur geprägt und die zur Einzigartigkeit ihrer Poesie geführt haben. Die Ausgangsthese, die das Konzept der gesamten Auswahl bestimmt, lautet:
Две силы, два противоположных начала, скрещиваясь, переплетаясь и сливаясь в нечто целое, единое, направляли жизнь Армении и создавали характер её народа на протяжении тысячелетий: начало Запада и начало Востока, дух Европы и дух Азии. Поставленная на рубеже двух миров, постоянно являвшаяся ареной для столкновения народов, вовлекаемая ходом событий в величайшие исторические перевороты, Армения самой судьбой была предназначена служить примирительницей двух различных культур: той, на основе которой вырос весь христианский Запад, и той, которая в наши дни представлена мусульманским Востоком. «Армения — авангард Европы в Азии», эта, давно предложенная, формула правильно определяет положение армянского народа в нашем мире.