Als Ergebnis dieser Streitbeilegung 1188 verschafften sich die deutschen Kaufleute das Recht, nach dem Vorbild des gotischen den eigenen Hof in Nowgorod einzurichten, den sie 1192 gegrundet haben. Es beginnt eine neue Periode in den westeuropeischen Handelsbeziehungen von Großnowgorod nach dem Abschluß des ersten Handelsvertrages mit den Deutschen und nach dem Bau des deutschen Handelshofs mit der Petruskirche in Nowgorod im Jahre 1192. Um die Jahrhundertswende XII— XIII. J. geht der westeuropeische Handel von Nowgorod in die Hande der deutschen Kaufleute uber, die ihn im Ostseeraum monopolisiert haben. Es war zuerst die deutsche Kaufmannsgemeinde, spater die deutsche Städtge-meinde und letzendlich der gesamtstadtische Bund der deutschen Städte, der unter dem Namen Hanse weit bekannt ist. Es dauerte aber noch bis zur Entstehung der Hanse im eigentlichen Sinne.
Uber die Hanse
Was war der Hanseverband? Der Begriff ist dem Sinn nach dem Wort «Gilde» ahnlich und bedeutet «Verband», «Bund», «Bundnis». Die behandelte Hanse ist jedoch nur mit Mtihe deffiniertbar, weil sie mehrere Aspekte enthalt. Die Hanse ist nicht nur eine Handelsvereinigung. Europa war im XIII—XVI J. vom hanseatischen Geist durchgedrungen. Es gab Han-sestadte in den verschiedenen Landern, das Hanserecht war vorhanden, die Hanseschiffe pflugten durch die Meere, die hanseatische Kaufleute beeinflußten die sozialpolitische und kulturelle Entwicklung der Städte. Es fanden regelmassig die hanseatischen Tagungen statt, die nicht nur die Handeslangelegenheiten betrachteten, sondern beschaftigten sich auch mit den rein stadtischen Problemen.
Das Jahr 1370 gait langere Zeit als formales Datum der Hanseentste-hung, als die vereinigten deutschen Städte einen Sieg über Danemark errungen und den durch die Unterzeichnung des Stralsundfriedens begingen.
Mehr als 70 deutsche Städte, die den Kern der Hanse bildeten, nah-men an der Unterzeichnung teil. Der Entstehungsprozeß der Hanse in der Form, wie sie im ganzen mittelalterlichen Europa bekannt war, nahm seinen Anfang in der Tat viel früher. Die Historiker von heute sind nicht in der Lage, das genaue Datum der Entstehung des Hansestadtebundes zu nennen.
Als wichtigste Entwicklungsstuffe bei der Bildung der gesamtstadtischen Hanse gilt die Herausbildung des Wendischen Städtebundes in der zweiten Halfte des XIII. Jahrhunderts, dessen Städte (Lübeck, Rostock, Wiesmar, Stralsund, Greifswald) an der sudlichen Kuste der Ostsee liegen. Lübeck war unter ihnen von großer Bedeutung. Die Städt hatte eine gunstige Lage in der Flußmündung von Trave und war dadurch sowohl mit dem Binnenteil Deutschlands (mit dem inneren Teil Deutschlands) als auch mit der ganzen Ktistenlinie verbunden. Dieser Umstand war für die künftige führende Rolle von Lübeck im deutschen Städtverband vorbestimmend. Im Jahre 1356 erfolgte die erste Hansestadttagung, an deren mehr als 70 Städte aus den verschiedenen Regionen Deutschlands und Livlands teilgenommen haben.
Da die Hanse der Hauptvermittler in den Handelsbeziehungen zwischen den einzelnen Regionen in Zentral-, Ost- und Nordeuropa war, hielt sie im Laufe von XIV—XV. J. alle Faden des westeuropeischen Handels in der Hand. Seit dem XVI. J. begann die Hanse die Konkurrenz von der Seite der sich schnell entwickelnden Niederlanden zu spüren und bald verlor sie die Bedeutung des Monopolvermittlers im Ostseehandel.
Geschichte und Charakter der Beziehungen zwischen Nowgorod und Hanse.
Nowgorod war immer einer der wichtigsten Handelspartner der Hanse. Die Hanseater kauften in Nowgorod die in dem ganzen mittelalterlichen Europa bekannten Pelze, aus Nowgorod wurden Wachs, Honig und andere Waren exportiert. Nowgorod importierte seinerseits die westeuropeischen Stoffe, Salz, Buntmetalle, Bernstein, Hering, Wein und andere Waren.
Die Beziehungen zwischen Nowgorod und der Hanse sind ausgezeichnet von den verschiedensten Schriftquellen dokumentiert. Diese Schriftquellen enthalten Handelsvertrage (19 Exemplare) und Handelsurkunden (33 Exemplare) aus dem Ende des XII. — der zweiten Halfte des XV. Jahr-hunderts, die zahlreichen hanseatischen Dokumente des XIV—XV. Jahr-hunderts, unter denen sich der Schriftverkehr des Hansekontors, Tagungsbeschlüsse, Handels — und Zollbücher der deutschen Städte befinden.
Eine ganz besondere Stelle unter diesen Quellen hat die s.g. Schra — das Statut des deutschen Handelshofes in Nowgorod. Sie reglementierte auf die ausführlichste Weise den Aufenthalt der hanseatischen Kaufleute in den Hofen, enthielt die Verordnungen tiber die Handelsregeln für die verschiedenartigen Waren, schrieb die Ordnung des Handels mit den Russen vor. Die erste Fassung von Schra erblickte das Licht der Welt noch in dem zweiten Viertel des XII. Jahrhunderts und bestand nur aus 9 Paragraphen. Deren Inhalt anderte sich im Laufe der Zeit in Zusammenhang mit den vollzogenen Anderungen in den Beziehungen zwischen Nowgorod und der Hanse.
Als Resultat der aktiven Handelspolitik von Ltibeck raumte die in Vis-by (Gotland) existierende deutsche Kaufmannsgemeinde ihre Einwirkung und die Rolle des Vermittlers im Ostseehandel am Ende des XIII. Jahrhunderts der Städtgemeinde der deutschen Kaufleute ein. In der Zeit entstand eine neue Fassung von Schra, die als Ziel hatte, die bestehende Ordnung gesetzlich festzulegen.
Der Anfang des XIV. Jahrhunderts ist durch die aktive Tatigkeit der deutschen Kaufleute gepragt, die die Sicherheit der Handelsreisen nach Nowgorod gewahrleisteten.
Im Jahre 1301 garantierte Nowgorod den deutschen Kaufleuten, durch die Botschafler aus Lübeck, Gotland und Riga vertretend, drei Landwege und einen Wasserweg, auf den Fltissen. Das ist der erste Fall, dass Riga als Vertreter der livländischen Städte gleichberechtigt neben den fraheren Partnern von Nowgorod genannt wurde.
Obwohl das gegeseitige Interesse immer da war, wurde der Handel zwischen Nowgorod und der Hanse mehrmals durch verschiedene Kon-flikte unterbrochen, deren Hauptgrtinde Nichtbeachtung der Handelsregeln, Unzufriedenheit mit den Bedingungen des Warenaustausches, Raububerfalle auf die Kaufleute oder die Zusammenstosse zwischen den ausländischen Kaufleuten und den Bewohnern von Nowgorod waren. Die Handelsbeziehungen konnten dartiber hinaus wegen der bewaffneten Zusammenstosse zwischen Nowgorod und seinen Nachbarn vollkommen gestoppt werden.
Aus unterschiedlichen Gründen gab in der ersten Halfte des XIV. Jahr-hunderts (1331 und 1338) besonders scharfe Konflikte zwischen Nowgorodern und den hanseatischen Kaufleuten.
Das Wesentliche im ersten Konflikt war der Zusammenstoß der deutschen Kaufleute mit den Nowgorodern, wo ein Nowgoroder ermordet wurde. Die Untersuchung dieser Angelegenheit dauerte einige Tage. Eines Tages wahrend dieser Untersuchung griffen die Nowgoroder den deutschen Handelshof an, vernichteten ein Teil des Zaunes und brachen die Speicher auf. Die Nowgoroder forderten eine Satisfaktion nicht nur für den in der Schlagerei ermordeten Nowgoroder, sondern auch für den frtiher in Derpt (Dorpat) getoteten nowgoroder Kaufmann Ivan Syp. Die Deutschen antworteten darauf, sie haben damit nichts zu tun, weil sie aus den Seestadten und nicht aus den livländischen Städten gekommen seien.
Der nachste Konflikt entbrannte 7 Jahre spater. Die Beraubung und die Ermordung des nowgoroder Kaufmann Volos mit den Kameraden bei Narva haben diesen Streit ins Leben gerufen. Als Antwort sperrten die Nowgoroder die in Nowgorod verbliebenen deutschen Kaufleute in die Kirche und verlangten die Herausgabe der Morder und der Beute. Obwohl die verhafteten deutschen Kaufleute nichts mit dem Mord und Raububerfall zu tun hatten, waren sie gezwungen, sich unter todlicher Bedrohung den Nowgorodern unterzuordnen und als Pfand die gestohlene Waren-menge herauszugeben.
Beide Konflikte, die als Grund verschiedene Anlasse hatten, wurden letzendlich beigelegt. Ihre tatsachlichen Gründe jedoch — die Nichtbefolgung der festgelegten Handelsregeln — wurden im Handel zwischen Novgorod und Hanse nie uberwunden. Folgende Regeln wurden noch in dem ersten Handelsvertrag in Betracht gezogen und spater mehrmals wiederholt, aber nie eingehalten: Anspruche nur gegen die unmittelbaren Schuldigen erheben, der Klager soil nur mit dem Beklagten in Verbindung stehen, Gerichtsbarkeit ist immer an den Orten wo der Streit entstanden ist.
Im Jahre 1356 hat eine Vereinigungstagung stattgefunden. Die deutschen Städte begannen danach, sich unmittelbar mit den Angelegenheiten ihrer Kontore im Ausland in Brugge, Nowgorod, London zu beschaftigen. Dabei wurden die kaufmannische Selbststandigkeit und Unabhangigkeit in den Fragen der Rechtsordnung in den Handelshofen herausgestellt. In diesem Zusammenhang haben die Städte verschiedene Beschlusse uber die Hofunterhaltung, Hofsordnung und uber die Regeln der Handelsführung gefasst. Seitdem wurden alle Angelegenheiten des nowgoroder Kontors auf den hanseatischen und spater livländischen Tagungen erortert.
Auf der Tagung der Hansestadte, die in Lübeck 1366 stattfand, wurden zahlreiche Beschlüsse anlaOlich der Kontore in Nowgorod und Brugge befasst, und an die sich dort befindenden Kaufleuten wurden die verschiedenartigsten Vorschriften verschickt. Den Kern bildeten das Verbot des Handels auf Kredit und die Anweisungen für die Wahl der Gemeindevorsteher. Aufierdem wurde der Kaufmannskreis, der das Recht auf den Handelshof des H.I. Petrus in Nowgorod hatte, nur auf die Burger der Hansestadte eingeschrankt.
Die zweite Halfte des XIV. Jahrhunderts ist reich an hanseatischen Verboten uber den Handel mit Nowgorod: die Konflikte zwischen den Nowgorodern und den hanseatischen Kaufleuten folgten insbesondere in den 70-ern Jahren. Der Meister des livländischen Ordens wand sich 1368 an Lübeck und an andere Ktistenstadte mit dem Vorschlag, die Handelsreisen nach Nowgorod zu unterlassen (wegen des feindlichen Verhaltnisses von Nowgorod zu Orden und zur katholischen Kirche). Lübeck war damit einverstanden. Die Kaufleute der livländischen Städte setzten den Handel mit den Russen in Vyborg, Narva und an der Newa (Fluss) fort, was den Anstoß in Lübeck erregte. Lübeck hat sich beim Ordensmeister darüber beschwert. Seither werden die Meinungsverschiedenheiten und Widersprüche zwischen den livländischen Städten und Lübeck immer pragnanter, weil deren Interessen im Handel mit Nowgorod nicht immer ubereinstimmten. Die Beziehungen zwischen Nowgorod und Lübeck haben sich in dieser Zeit auch wegen eines Seeraubersuberfalls auf nowgoroder Kaufleute 1370 verschlechtert. Die Seerauber haben die Waren der Nowgoroder nach Lübeck geschickt. Ungeachtet des 1371 abgeschlossenen Waffenstillstandes wurden die nach Nowgorod zurtickgekehrten deut-schen Kaufleute wieder unterdrückt.
Als Antwort auf die Verhaftung der nowgoroder Kaufleute in Derpt und auf die Beschlagnahme ihrer Ware wurden im Juli 1375 die deutschen Kaufleute, die im Moment in Nowgorod waren, in Haft genommen. Sie berichteten darüber in einem Brief nach Revel. Die nowgoroder Botschaft nach Derpt blieb ohne Erfolg: die nowgoroder Kaufleute und ihre Ware wurden nicht zuruckgegeben, was seinersets zu einer Verschlechterung der Lage der deutschen Kaufleute in Nowgorod geführt hat. Darüber hinaus wurde in Nowgorod im November 1375 mit der Zustimmung des Posadniks und Tausendführer ein gewisser Johann Brunswick verhaftet, der mit dem Winterzug nach Nowgorod gekommen war, um zu handeln, und der keine Ahnung von diesen Geschehnissen hatte. Seine Ware wurde in die Johannes -Vorlauferskirche ubertragen und er selber wurde als Verbrecher behandelt. Die deutschen Kaufleute wandten sich mit der Klage an den nowgoroder Erzbischof, der sein Bedauern über das Geschehene aussprach und seinen Boten den Deutschen lieh, damit sie sich bei Posadnik beschweren konnten. Sie haben die folgende Antwort bekommen: da der Bischof und der Städtrat von Derpt die nowgoroder Kaufleute verhaftet und ihre Ware beschlagnahmt haben, ohne irgendwelche Grtinde dazu zu haben, iniziierten sie damit einen Konflikt und provozierten das Gegenhandeln der Nowgoroder. Die Nowgoroder versprachen bei der wohlbehaltenen Ruckkehr ihrer Brtider mit den Waren aus Derpt, den verhafteten Brunswick freizulassen und ihm seine Ware zurtickzugeben. Dieser Konflikt wurde im Mai 1376 beigelegt: der novgoroder Kaufmann in Derpt wurde befreit und zusammen mit den Botschaftern nach Nowgorod geschickt.
Der beschriebene Fall ist ein konkretes und zugleich wohl ein typisches Beispiel aus der Praxis der nowgorod-hanseatischen Beziehungen. Es ist darauf hinzuweisen, dafi es ausschliesslich livländische Städte waren, die sich dabei mit der Besprechung und der Beilegung des entstandenen Konfliktes beschaftigten. Das zeigt ihre wachsende Rolle im nowgoroder Handel und bei der Leitung des hanseatischen Kontors in Nowgorod.
Die nachste Auseinandersetzung zwischen den deutschen und den Nowgoroder Kaufleuten war im Jahre 1377, die schon wieder zu gegenseitigen Beschlagnahmungen und Verhaftungen geführt hatte. Die Beziehungen zwischen den hanseatischen Kaufleuten und den Nowgorodern blieben in den 80-ern Jahren des XIV. Jahrhunderts angespannt. Es folgten Verhaftungen der Kaufleute beider Seiten. Die Tagung der livländischen Städte in Wolmar hat im Januar 1385 die Reisen nach Nowgorod vollkom-men verboten. Der Handelskrieg zwischen Nowgorod und Hanse stellte sich von da ab einige Jahre nicht ein. Der Grand dazu waren nicht nur die Verhaftungen der Kaufleute und die Beschlagnahmung der Ware, sondern auch die gegenseitige Unzufriedenheit mit den Handelsbedingungen. Die Nowgoroder klagten z.B. daruber, sie sollten wegen der Weigerung der deutschen Kaufleute, einige Pelzsorten zu kaufen Schaden erleiden. In der gleichen Zeit haben die Nowgoroder die Ansprüche gegenuber den Deutschen geltend gemacht, was die Salzpreise betraf. Die Hansekaufleute forderten seinerseits die Einhaltung der früheren Handelsprivilegien. Die Hansestadte erorterten die Frage über die Reisen nach Nowgorod an der Tagung in Ltibeck im Juli 1386 und haben einen Vorschlag gemacht, den ganzen Handel mit den Russen nach Derpt zu verlagern und den Handel mit ihnen in keinem anderen Ort zu fortzuführen. Dieser Vorschlag hat aber keinen Widerklang gefunden. Es wurde aber an der Tagung in Derpt 1389 beschlossen, die Reisen nach Russland mit unter der Bedrohung des Lebens- und des Warenverlustes zu verbieten. Die Kaufleute aller Stadte sollten davon benachrichtigt werden. Um allem die Krone aufzusetzen brach im Jahre 1385 ein großes Feuer aus, infolge dessen die ganze «Handelsseite» (Handelsviertel in Nowgorod) nieder brannte. Die gotländischen und deutschen Hofe wurden nicht nur vom Brand geschadigt, sie wurden auch geplundert. Erst im Jahre 1391 fanden Verhandlungen zwischen den Nowgorodem und den deutschen Botschaftem in Izborsk statt, die mit einem Friedensschluss 1392 endeten. Dieses Dokument ist unter dem Namen Niebursfrieden (oder Kreuzküssung Nieburs) in die Geschichte eingegangen. Johannes Niebur war der hanseatische Botschafter, der den Vertrag in im Namen der Hanse geschlossen hat.
Nach der Friedensunterzeichnung haben sich die deutschen Botschafter auf den Weg nach Nowgorod gemacht. Die Chronik berichtet folgen-derweise daruber: «Sie haben ihre Waren zuruckbekommen, das Kreuz gektißt und sie begannen, ihre Hofe neu aufzubauen: weil es seit 7 Jahren keinen dauerhaften Frieden gab».
Neben der Belegung der konkreten Handelsverletzungen setzte der Niebursfrieden die traditionellen, von früheren Abkommen bekann-te Ordnung der Konfliktsituationslosung fest: Der Klager soil mit dem Beklagten kommunizieren, die zwischen den Konfliktparteien entstehenden Prozesse sollen am Entstehungsort verhandelt werden usw. Was den Brand 1385 und die dabei entstandene Pltinderung der deutschen Waren betraf, verpflichteten sich die Nowgoroder Ermittlungen anzustellen. Der Niebursfrieden hat für mehrere Jahre den Handelscharakter gepragt und gait als Grundlage bei der Beilegung der spateren Konflikte zwischen den nowgoroder und hanseatischen Kaufleuten.